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Nachtschwärmerei: Musik im Quadrat

Jazz und Klassik unter einem Dach

© Julia Kesch

Von Julia Kesch am veröffentlicht.

Jazz und Klassik unter einem Dach – das ist die Idee der „Nachtschwärmer-Konzertreihe“ des Jazzclubs BIX, die einmal im Monat stattfindet. Das BIX teilt sich das historische Gustav-Siegle-Haus mit den Stuttgarter Philharmonikern. Und wenn man sich schon die Räumlichkeiten teilt, wieso dann nicht auch die Konzerte?

 

Ganz im Sinne des Jazz – man weiß nie, was einen erwartet – beginnt das Konzert am 09. Juli mit einem Überraschungsgast: Das Lukas Wögler Quartett, das sich aus Studenten der Musikhochschule Stuttgart zusammensetzt. Moritz Langmaier am Klavier, Erik Biscalchin am Kontrabass, David Giesel am Schlagzeug und der Namensgeber Lukas Wögler am Tenorsaxofon. Modern und persönlich – so klingt das erste Stück, das der Saxofonist mit leicht hauchigem Sound spielt. Dass dieses Stück eine Eigenkomposition ist, hört man nicht. Es könnte genauso gut aus dem Reel Book stammen. Der Titel: „Den kann ich nicht aussprechen, das ist französisch.“, erklärt er und sorgt damit für ein Schmunzeln im Publikum. Publikum, Musiker und die Musik wirken am Anfang zurückhaltend – als müssten sich alle erst daran gewöhnen, sich wieder in der realen Welt zu begegnen.

© Julia Kesch

Schlagzeuger David Giesel des Lukas Wögler Quartetts

Der Jazzclub hat erst seit wenigen Wochen wieder geöffnet. Der Geschäftsführer David Wilcke meint: „Es ist eine schwierige Aufbauarbeit seit Corona. Wir mussten erst neues Personal finden und zur Zeit sind nur 60 Prozent der eigentlichen Auslastung erlaubt.“ Zusätzlich ist einer der 3-G Nachweise Voraussetzung für den Besuch.  Aber er gibt sich positiv: „Wir steigern uns langsam.“ Trotz räumlicher Distanz zwischen den Gästen ist die innere Verbundenheit zu spüren: Das gemeinsame Glück, Musik wieder live zu erleben, der Applaus, die Begeisterung. Und das Besondere, das einen Jazzclub ausmacht: Jeder kann sich selbst sein. Die Musiker erschaffen keine Kunstfiguren, die Musik ist ehrlich, authentisch. Jeder kommt, wie er ist. Einer in Sandalen mit Wandersocken, andere im Abendkleid.

Nacht im Quadrat: Quartette sind das namensgebende Leitmotiv des Abends und so geht es auch im Großen Saal mit dem Leonhard-Quartett der Stuttgarter Philharmoniker weiter. Das Streichquartett Nr. 12 Es-Dur, op. 127 von Beethoven – ein Werk, das es in sich hat. Es gilt als schwer zu interpretieren und verlangt mit 40 Minuten Länge sowohl von Musiker*innen als auch den Zuhörenden viel Konzentration. Das Quartett entstand als eines der späteren Stücke Beethoven um 1824.

Klassik und Jazz sind zwei Nischen, wir können hier gegenseitig voneinander profitieren. Und das Wichtigste: Das Publikum kann gegenseitig voneinander lernen.– Albrecht Dürr - Stuttgarter Philharmoniker

Die Uraufführung im März 1825 scheiterte – die Zuhörer*innen blieben verärgert und irritiert zurück. Nicht so im Gustav-Siegle-Haus: Das Leonhard-Quartett meistert das Stück, nähert sich der Musik gefühlvoll und zieht alle in den Bann Beethovens. Der Beginn ist weich und warm, dann folgen plötzliche Wechsel zwischen Pianissimo und Fortissimo und ein paar eingestreute Dissonanzen, mit denen Beethoven spielt. Bei allen Kontrasten bleibt die Musik immer ergreifend und nahbar. Nach dem letzten Akkord folgt minutenlanger Applaus. Begeistert ist auch die Konzertbesucherin Emily Birkert:

© Julia Kesch

Das Leonhard-Quartett im Großen Saal des Gustav-Siegle-Haus

Das bunt gemischte Publikum in der Nachtschwärmer-Reihe ist etwas Besonderes. Albrecht Dürr, Musikdramaturg der Stuttgarter Philharmoniker und einer der Initiatoren, begründet das: „Das Publikum hier in der Konzertreihe ergänzt sich gegenseitig und wird weiter. Es gibt viele Klassik-Konzertgänger, die sonst nie in einen Jazzclub gehen würden. Das verbindet.“ Und das bringt noch mehr Vorteile mit sich: „Klassik und Jazz sind zwei Nischen, wir können hier gegenseitig voneinander profitieren. Und das Wichtigste: das Publikum kann gegenseitig voneinander lernen. In Klassikkonzerten sind die Menschen angespannter, aber auch viel aufmerksamer, das würden die Jazzmusiker auch verdienen. Und in Jazzclubs sind die Leute lockerer, klatschen im Stück, wenn ihnen etwas gefällt. Das könnten wir Klassiker gebrauchen.“

Klassik und Jazz verbinden – das hat auch der Pianist Chick Corea getan, etwa mit seinen „Three Quartets“, die 1981 erschienen. Die Stücke sind den Streichquartetten der Wiener Klassik nachempfunden, aber auf eine typische Jazzbesetzung übertragen. Dazu kommen lateinamerikanische Einflüsse. Mit dem Quartett Nr. 1 von Corea eröffnet die Band um den Jazzpianisten Olaf Polziehn den letzten Teil des Konzerts im BIX.

Up-Tempo und synkopische Rhythmen im 6/4-Takt: das vertrackte Stück verlangt nach einem exakten Zusammenspiel – und das zeigen die Musiker direkt mit den ersten Takten. Polziehn am Klavier und Mini Schulz am Kontrabass ergänzen sich perfekt, Meinhard Obi Jenne am Schlagzeug setzt Akzente, spielt gekonnt mit den Sounds, die als bunte Farben wirken. Tenorsaxofonist Libor Sima brilliert beim Improvisieren. Sima scheint in der Musik zu versinken, zu verschmelzen, bewegt seinen Körper im Rhythmus, die Augen geschlossen. Das Klavier streut immer wieder perlende Motive ein, die sich in die flirrende, harmonisch komplexe Musik einfügen. Als Zugabe gibt es Coreas bekanntestes Stück „Spain“ zu hören.

Nach dem Abend bleibt man berauscht von der Musik zurück – bereichert von vielem, das verschieden ist und gleichzeitig verbindet.

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